Mehr Organspender gewinnen
Gastkommentar:
Wie wir mehr Organspender gewinnen können;
von KATRIN HELLING-PLAHR MDB, 09. März 2023
(Rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion; Mitglied im Rechts- sowie im Gesundheitsausschuss.)
Die Entwicklung der Organspenderzahlen in Deutschland ist alarmierend. 933 postmortalen Organspendern 2021 stehen nur 869 in 2022 gegenüber – ein Rückgang um 6,9 Prozent. Das ist der niedrigste Wert der vergangenen fünf Jahre. Dass seit jeher deutlich weniger Organe gespendet als benötigt werden, ist nicht neu. Für Menschen, die auf ein Ersatzorgan angewiesen sind, ist oft jahrelanges Bangen auf den Wartelisten die Regel. Es war daher nur folgerichtig, dass die Frage, wie eine Erhöhung der gespendeten Organe erreicht werden kann, den Deutschen Bundestag bereits in der vergangenen Legislaturperiode intensiv beschäftigt hat. Das im April 2019 in Kraft getretene Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende diente einer effizienteren Spendererkennung in den Kliniken. Entstehender zeitlicher und finanzieller Aufwand wurden stärker berücksichtigt.
Zusätzlich hat das Land umfassend über eine grundsätzliche Neuausrichtung der Organ-spendepraxis diskutiert. Die Frage Entscheidungslösung versus Widerspruchslösung wurde schließlich im Bundestag im Januar 2020 entschieden. Nach emotionaler Debatte wurde die Widerspruchslösung deutlich abgelehnt. Stattdessen entschied sich die Mehrheit für das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft. Die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger sollte fortan – etwa im Bürgeramt oder beim Hausarzt – intensiviert werden. Zusätzlich zum Papierausweis wollte man ein digitales Spenderregister schaffen.
Man kann die Entscheidung des Bundestages richtig oder falsch finden. Ich selbst hätte mir etwas mehr Verbindlichkeit zum Beispiel durch eine gezielte Abfrage der Spendebereitschaft bei Behördengängen gewünscht. Eine solche Lösung würde das individuelle Selbst-bestimmungsrecht achten und wäre als milderes Mittel gegenüber der Widerspruchslösung möglicherweise gleich wirksam. Jedenfalls dann, wenn man nicht mit Spendern kalkulieren möchte, die ihre fehlende Spendebereitschaft nur nicht artikuliert oder dokumentiert haben. Aber bei aller persönlichen Einstellung in dieser ethisch schwierigen Frage gilt es – wie ich finde –, die Entscheidung des Parlaments zu respektieren. Und sie umzusetzen. An der Umsetzung hapert es jedoch gewaltig. Denn das digitale Spender- register ist bis heute nicht an den Start gegangen. Dabei wäre es eine große Chance. Die große Mehrheit der Deutschen hat eine positive Haltung zur Organspende. Allerdings hat nur ein Bruchteil sie schriftlich dokumentiert. Ein stets mitgeführter Organspenderausweis leistet da gute Dienste.
Er kann allerdings vergessen, verloren oder auch in der Klinik schlicht übersehen werden. Äußern auch die Angehörigen nicht, dass der Betroffene zu einer Spende bereit war, wird ein potenzieller Spender nicht als solcher identifiziert. Seine Organe können keinem anderen Menschen auf der Warteliste helfen. Ein digitales Register, das jedem Bürger und jeder Bürgerin jederzeit die Möglichkeit gibt, die eigene Entscheidung einfach zu dokumentieren oder zu ändern, kann hier zum Gamechanger werden. Insbesondere dann, wenn zum Beispiel Hausärzte ihre Patienten regelmäßig darauf hinweisen.
Ich finde, solange der vorhandene Beschluss nicht umgesetzt ist und wirken konnte, verbittet es sich, eine lange geführte Debatte von vorne zu beginnen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch anderweitig umtun sollten, um weiteren Verbesserungsbedarf auszumachen. In Deutschland werden beispielsweise Potentiale, die sich aus Lebendspenden ergeben können, überhaupt nicht hinreichend genutzt. So sind zum Beispiel Überkreuz- Lebend-spenden – anders als in Ländern wie Spanien oder der Schweiz – in Deutschland nach wie vor verboten, obwohl Menschen sich zu einer solchen Spende bereit erklären und damit gleich zwei Personen ein lebensrettendes Organ erhalten könnten. Es gibt genug zu tun, um Menschen, die auf lebensrettende Organe warten, zu helfen. Sich im Kreis zu drehen, gehört nicht dazu.
(Hinweis: Der Gastkommentar wurde auch in überregionalen Medien publiziert)